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Festschrift "10 Jahre 9. Zug im USK Gifhorn"

zur Geschichte des 9. Zuges

... denn sie wissen nicht, was sie tun

Es ist spät in der Nacht. Lichtfinger kämpfen sich mühsam durch die von Zigarettenrauch geschwängerte Luft in Mücks Weinkeller. Die Wirtin hinter der Theke macht wie immer einen genervten Eindruck. Vier junge Männer an einem mit leeren Gläsern überfüllten Tisch stört das nicht. Sie sind völlig von einer Idee gefesselt, die schwerwiegende Folgen nach sich ziehen soll. Sind sie sich der Konsequenzen ihres Tuns bewusst? Man spricht sich gegenseitig Mut zu, sagt "Das wird schon klappen!" Dann hauen sie sich vor Begeisterung auf die Schenkel und bestellen noch eine Runde. Ihr Mut überrascht sie selbst. Dann wieder werden sie ganz still. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach, zweifelt. In einer Lache aus verschüttetem Wein und Bier, mitten zwischen den leeren Gläsern, liegt ein Block auf dem Tisch, daneben ein Kugelschreiber. Die jungen Männer schauen sich gegenseitig an. Es ist ein Kampf mit den Augen: Wer von ihnen gibt nach und ergreift den Stift? Wer wagt den entscheidenden Schritt und macht aus einer wein- und bierschweren Idee Realität? Da, ein Zucken! Mark Zierold, Hermann Brandes und Andreas Beulshausen atmen erleichtert aus. Nicht sie sind es, die nachfolgenden Generationen und vor allem ihren Freundinnen Rechenschaft ablegen müssen. Stefan Armbrecht ergreift die Initiative und den Kugelschreiber. "Viel Fein, viel Ehr", murmelt er kaum hörbar und zieht den veltinsnassen Block zu sich heran. Der junge Tierarzt betätigt sich wieder einmal als Geburtshelfer. Vielen Tieren hat er schon auf die Welt geholfen. Doch was hier das Licht der Gifhorner Schützenwelt erblicken soll, ist ein Urviech, eine unerhörte Kreatur, etwas Undenkbares! Nach 60 Jahren wird die Leiche des 9. Zuges im USK intensivmedizinisch wiederbelebt. Es ist Freitag, der 10. Juni 1994.

Das Unmögliche wird möglich

Mark Zierold und Stefan Armbrecht haben ein mulmiges Gefühl. "Du hast erklärt, worum es geht?" fragt Mark seinen langjährigen Freund. Dieser nickt. "Und du bist dir sicher, dass der Major nicht scherzt?" "Majore scherzen nie. Das Schützenwesen ist eine ernste Angelegenheit", antwortet Stefan mit einer Selbstsicherheit, die nicht seiner tatsächlichen Gefühlslage entspricht. Es ist Montag, der 13. Juni 1994. Mark und Stefan haben eine Einladung - oder ist es doch eine eher eine Vorladung? - vom Kommando des USK erhalten. Sie sollen sich erklären. Nun ist das USK-Kommando ein ehrwürdiges Gremium, dessen sind sich die beiden Jungschützen bewusst. Ob sie mit ihrer Absicht, den 9. Zug zum Leben zu erwecken, Anklang finden werden? Auf jeden Fall haben sich die jungen Männer gut präpariert. Man beabsichtigt, in schillernden Farben darzustellen, welche Chance dem USK entgehen würde, stimmte man der Neugründung nicht zu. Aber an einen Fehlschlag ihrer Mission wollen die Beiden nicht denken. Schließlich haben sie eine Liste mit 26 Namen dabei. 26 junge Gifhorner, die dem 9. Zug USK beizutreten gewillt sind. Zugegeben: Einige der Aspiranten sind mit höchst fragwürdigen Methoden eingefangen worden. Aber das weiß das Kommando ja nicht, und die Betreffenden können sich auch an nichts mehr erinnern. Soviel Frischfleisch kann doch wohl nicht ausgeschlagen werden? Frischfleisch will das USK tatsächlich nicht ablehnen. Aber warum die jungen Leute nicht auf die bestehenden Züge verteilen? Schließlich ist man sich der Altersstruktur einiger Züge gelenkschmerzlich bewusst. Doch dann stimmt das Kommando der Neugründung zu, und der Major stiftet sogar 30 Paar weiße Handschuhe.

Von Passgängern und Sambatänzern

Was braucht ein USK-Schütze? Zuerst einmal eine ziemlich hässliche graue Pferdedecke, Uniform genannt, nebst Hut. Sodann benötigt er eine unpraktische, weil weiße Hose. Komplett ist der Schütze im USK Gifhorn jedoch erst mit dem Holzgewehr. Nichts von alledem können die Neuschützen des 9. Zuges aufweisen. Doch im Gifhorner Schützenwesen hält sich eine Tradition, die man mit dem Untergang des Ostblocks vergessen wähnt: Solidarität. Diese ist zwar nicht international wie die ehemalige östliche Variation, bezieht sich aber vor allem auf die Frischlinge des neuen 9. Zuges. Innerhalb kürzester Zeit sind Uniformteile ausgeliehen ("Passt doch irgendwie, oder?") und Holzgewehre entladen und gesichert übergeben. Doch, wenn der 9. Zug-Schütze jetzt denkt, er wäre vollständig, so irrt er; und zwar enorm. Es gilt eine gewaltige, kaum zu bezwingen scheinende Hürde zu nehmen: die Fortbewegungsart nämlich! Ein USK-Schütze geht nicht, er marschiert und zwar im Gleichschritt. Und dann marschiert er auch noch vorbei - im preußischen Paradeschritt gefälligst. Während der Schütze sich auf seine Beine konzentriert und marschiert oder paradiert, muss er auch noch auf seine Hände achten, damit diese das Holzgewehr richtig halten. Das ist ganz schön viel auf einmal! Das alles müssen die Jungschützen lernen. Sie wollten es ja nicht anders. Wie lernt man militärische Formen? Richtig, durch exerzieren. Und so exerziert USK-Major Helmut Schmidt am Mittwoch vor dem Schützenfest '94 mit 15 jungen Schützenbrüdern des 9. Zuges. Doch so sehr er sich auch anstrengt, die 15 bewegen sich irgendwie anders, als er mit seinen Kommandos beabsichtigt. Ernsthafte Zweifel keimen in ihm. Gibt es in Gifhorn denn keinen Tanzsportverein?

Erst ausprobieren, dann der offizielle Teil

Das erste Schützenfest des neuen 9. Zuges ist vorbei. Wacker haben sie sich geschlagen, die Recken. Und schlau sind sie auch! Am Sonntag sind sie nämlich noch auf die Idee gekommen, ihre Freundinnen und Frauen zu bewirten. Damit führt der 9. Zug eine moderne Form des Ablassbriefes ein. Mann kauft sich von seinen Schützenfestsünden frei. Diese Veranstaltung wird bis heute fortgeführt, auch wenn das Ergebnis nicht immer das erhoffte ist. Auch das USK ist der Ansicht, dass die Jungschützen des 9. Zuges eigentlich ganz ordentliche junge Männer sind. Ordnung muss sein. Deshalb wird eine offizielle Gründungsversammlung einberufen. Doch die Neuen scheinen noch immer nicht so ganz begriffen zu haben, wies geht: Während das Kommando ganz selbstverständlich in Uniform erscheint, tauschen die Schützen des 9. Zuges in farblich z. T. erschreckenden zivilen Outfits auf.

Ausruhen ist erste Bürgerpflicht

Das Undenkbare passiert 1999. Wir können nicht schießen, ist unsere feste Überzeugung. Doch dann: ein Schütze des 9. Zuges trifft beim Königsschießen aus Versehen ins Schwarze. Holger Hörmann lässt die Proklamation zum Andermann äußerlich ganz ruhig über sich ergehen. Nur sein Hut sieht noch etwas seltsamer aus als ohnehin. In Wirklichkeit strengt ihn die ganze Sache sehr an. Warum sollte er also nicht ein kleines Nickerchen machen - im Foyer des Saales?

Wie einst Aschenputtel

So ein Lustiger Sonntag kann für den Einen oder Anderen schon ziemlich überraschend kommen. Besonders überrascht ist Holger Hörmann 1999. Jetzt aber schnell in die Uniform und dann nur noch die Schuhe anziehen! Die Schuhe gibt es aber nicht, sondern nur den Singular. Wir erinnern uns: Auch Aschenputtel hatte einen Schuh verloren. Schön wie das Aschenputtel ist unser Holger allemal. Aber ob ihm ein Prinz den fehlenden Schuh nachschleppt? Darauf möchte er sich dann doch nicht verlassen. Zum Glück findet er einen weiteren schwarzen Schuh. Zufrieden macht er sich mit den unterschiedlichen Schuhen auf den Weg.

Bis zur Weser

"Wir ziehen euch bis zur Weser und wieder zurück", drohen uns 2001 die Schützenbrüder des 7. Zuges USK. Aber keine Angst! Es geht nur um einen Tauziehwettbewerb. An der Ise, nahe der Kuhbrücke, kommt es zur entscheidenden Auseinandersetzung. Gebannte Stille liegt über der Wettkampfstätte. Dann folgt der Startschuss und schon liegt Götz Kirchner im Wasser. Es läuft also bis hier alles wie abgesprochen. Beim eigentlichen Wettkampf muss der 7. Zug erkennen, dass er mit der Klappe mehr kann als mit den Muskeln. Von wegen "bis zur Weser"! Sie verlieren und jammern hinterher auch noch 'rum, dass der lockere Boden auf ihrer Seite der Ise schuld gewesen sei. Luschen!

Modes Heideschinken

Der Schützenfestfreitag ist uns Schützen des 9. Zuges heilig. Er ist irgendwie entspannter als der Donnerstag. Wir haben also mehr Zeit zum Reden, Singen und für andere Tätigkeiten, so auch beim Schützenfest 2002. Nun wird jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren haben, dass es nicht ganz einfach ist, mit etwas aufzuhören, wenn es Spaß macht und alle anderen auch nicht aufhören. Ein Gifhorner Tierarzt steht an diesem Tag vor genau diesem Problem. Er macht also weiter. Kurze Zeit später verspürt er großen Hunger. Ein Schinkenbrötchen muss her. Die Füße fest auf dem Boden, versetzt sich sein Oberkörper in unkontrolliert kreisende Bewegungen. Gleichzeitig versucht er, das Brötchen mit beiden Händen zum Mund zu führen. Zirkusreif! Dass ihm ein nordamerikanischer Indianerstamm daraufhin den Beinamen "Der mit dem Brötchen tanzt" verliehen haben soll, ist aber nur ein Gerücht.

'tschuldigung

Wenn eine Schützenzug den Schützenkönig stellt, ist das ein herausragendes Ereignis. Das wühlt den Schützen auf, stimmt ihn euphorisch. 2003 dürfen wir das erleben und genießen. Während auf dem Podest Detlef Eichner proklammiert wird, überlegen wir, welchen Siegesgesang wir anstimmen sollen. Da gibt es nur ein Problem: Wir können nicht singen! Wirklich nicht! Um die anwesenden Zuschauer nicht durch unmeldogisches Gekrächze zu gefährden, einigen wir uns auf ein rhythmisches "Uh, Uh, Uh ..." Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Man muss Atmung, Artikulation und aus dem Magen aufsteigende Gase koordinieren. Gelingt das nicht, dann ... Jetzt wissen wir, warum Schützenjacken imprägniert sind.

Wenn einer eine Reise tut

Wir vom 9. Zug sind weltoffen und besuchen auch gern einmal das Ausland. Im April 2004 machen wir uns deshalb auf den Weg nach Blaubeuren. Wer in Blaubeuren ist, der sollte auch Ulm einen kurzen Besuch abstatten. Wie kommt man aber dorthin? Ganz einfach, mit der Bahn nämlich! Dazu muss man natürlich wissen, wo der Bahnhof ist. Um einen Bahnhof zu finden, braucht man eigentlich nur die Schienen zur verfolgen. Die sind bekanntermaßen auf der Erde verlegt. Verliert ein Schütze des 9. Zuges den Anschluss an seine Schützenbrüder, lotsen diese ihn per Handy zum Bahnhof und in den Zug. Damit das gelingen kann, sollte der Schütze sich aber zumindest noch grob orientieren können und wissen, wo oben und unten ist. Doch auch für versprengte Schützen des 9. Zuges gilt: Ohne gültigen Fahrschein fliegt man aus dem Zug. Auch dann, wenn der Schütze noch nicht in Ulm angekommen ist. Zum Glück gibt es Busverbindungen.

Wie geht es weiter?

Zehn Jahre sind vergangen. Wir alle sind entsprechend gealtert. Dem Einen von uns sieht man diese zehn zusätzlichen Jahr an, dem Anderen unverschämterweise nicht. Wir alle sind ein klein wenig ruhiger geworden. Die Nächte des Schützenfestes verbringen immer mehr von uns im eigenen Bett statt an den diversen Theken. Immer häufiger trinken wir ein Bier-Wasser-Gemisch im Verhältnis 1:1, anstatt den Gerstensaft pur herunterzustürzen. Wer jetzt allerdings hofft, auch wir würden endlich ein ganz normaler Schützenzug werden, dem sei in aller Deutlichkeit gesagt: Der 9. Zug ist immer noch voller Leben! Wir haben noch viele gute wie dumme Ideen und werden sie auch in die Tat umsetzen! Wir wollen das Gifhorner Schützenwesen nicht revolutionieren. Wir erlauben uns aber, Interpretationen bestehender Traditionen vorzunehmen. Wann hat es beispielsweise ein Königsfrühstück in der Sandmühle gegeben? Es wurde Zeit. Wie wird es dem 9. Zug in den nächsten zehn, zwanzig Jahren ergehen? Niemand weiß auf diese Frage eine seriöse Antwort zu geben. Es ist aber relativ wahrscheinlich, dass unsere Geschichte sich nicht grundlegen von der anderer Züge unterscheiden wird. Bedeutet das, dass wir gemeinsam alt werden? In einer Gesellschaft, die von einem kaum noch zu beschreibenden Jugendwahn geprägt ist, mag diese Vorstellung erschreckend wirken. Stefan Armbrecht sagte kürzlich dazu: "Ich würde mich freuen, mit euch gemeinsam alt zu werden." Vielleicht wird in einigen Jahren ein anderer alter Zug im USK von jungen Menschen neu gegründet. Sollte das passieren, so ist zu erwarten, dass diese jungen Menschen voller verrückter Ideen stecken. Gut so! Unterstützen wir sie tatkräftig, damit das Gifhorner Schützenwesen durch behutsame Veränderungen entwicklungs- und überlebensfähig bleibt. Die Anstrengung lohnt, wie der 9. Zug im USK beweist.

Reinigung

Eine Schützenuniform wird über das Schützenfest schon ganz schön beansprucht. Irgendwann ist sie verschmutzt, riecht ein wenig unangenehm und muss deshalb in die Reinigung gebracht werden. Normalerweise geschieht das nach dem Schützenfest. Was aber, wenn die Kutte schon während der Festtage einen unerträglichen Zustand angenimmt? Einen besonders klugen Einfall hat während des Schützenfests 2003 ein Mitglied des 9. Zuges. Wenn eine Terrasse nach dem Winter sehr verdreckt ist, wie bekommt man sie wieder sauber? Richtig, mit dem Hochdruckreiniger. Warum sollte dieses Verfahren nicht auch bei einer besonders schmutzigen Uniformjacke angewendet werden können? Aber Vorsicht! Beim nächsten Mal bitte den in der Jacke steckenden Schützenbruder vorher entfernen!